Denkmal

Alfred Escher Relocated. Umpositioniert, redimensioniert, auf den Boden geholt

Eingabe 56_WW | Willi Wottreng, Schriftsteller

Begründung

Der Vorschlag bezieht sich auf das Denkmal von Alfred Escher auf dem Bahnhofplatz Zürich, erstellt von Richard Kissling und eingeweiht im Jahr 1889.

Ein Denkmal der Demokratiefeindlichkeit?

Die Statue für Alfred Escher auf dem Bahnhofplatz Zürich war schon von den ersten Anfängen an Gegenstand von Debatten und Polemik. Schon vor der Errichtung 1889 demonstrierten Arbeiter gegen dieses Denkmal, das für sie den «Princeps von Zürich», einen undemokratischen Politiker, verkörperte. Einige Heisssporne wollten es noch in der Nacht vor der Einweihung sprengen. Die historische Wissenschaft ist sich einig, dass Alfred Escher als Regierungsratspräsident bei allen Verdiensten für die technische und wirtschaftliche Entwicklung Zürichs politisch ein «System» verkörperte, das nicht demokratisch Entscheide fällte, sondern in Hinterzimmern die Interessen einer Elite festlegte und Vorentscheide fasste, vor allem in seiner legendären «Mittwochsgesellschaft».

Ein Monument des Kolonialismus?

Im 21. Jahrhundert wurde die Statue von Alfred Escher angegriffen, weil sie als Verkörperung von Kolonialismus angesehen wurde und wird, verdanke doch Escher seinen Reichtum der Sklavenausbeutung. Massgebende historisch Forschende sind sich aber einig, dass sich Alfred Escher persönlich weder an Sklavenausbeutung beteiligte, noch direkt davon profitierte. Im Gegensatz allerdings zum Erbauer der Villa, seinem Vater Heinrich Escher (- Zollikofer), der einem Bruder geholfen hatte, die Kaffeeplantage «Buen Retiro» in Kuba zu verkaufen, auf der über 80 Sklaven gearbeitet hatte. Alfred Eschers Grossvater Hans Caspar Escher wiederum hatte Beteiligungen an zwei Sklavenschiffen besessen.

Kritik – Eine komplexe Figur ohne emotionalen Zuspruch

Tatsächlich ist das Escher-Monument auf dem Bahnhofplatz nicht zeitgemäss. Es spricht keine gemeinschaftsstiftenden Gefühle an und weckt eher Spezialinteressen von Menschen, welche Eisenbahngeschichte kennen oder auch die Geschichte der ETH Zürich. Dass Escher kaum mehr Emotionales bedeutet, wird durch die banale Nagelprobe belegt, dass es in Zürichs Souvenirläden keine Escher-Miniatur-Statuen zu kaufen gibt (wogegen es in Schaufenstern sogar Lenin-Figürchen gibt).

Escher soll heute weder als Zürcher Gründerfigur pathetisch geehrt noch als Inbegriff des Kolonialismus fundamental verdammt werden. Tatsächlich war er eine interessante, widersprüchliche und stadtprägende Figur, die gerade auf Grund seiner Familiengeschichte versuchte, der Gemeinschaft zu dienen. Seine Verdienste um ETH und Eisenbahn sowie um den Schriftsteller Gottfried Keller werden nicht in Frage gestellt. Es ist falsch, sich nicht mehr an ihn erinnern zu wollen. Aber man muss sich an Escher in seiner Komplexität erinnern.

Vorschlag – Physische neue Kontextualisierung

Traditionellerweise schlägt man vor, umstrittene Monumente entweder in Museen abzustellen oder mit Texttafeln oder QR-Code-Informationen zu kontextualisieren. Das Erste führt tatsächlich zum allmählichen Versenken einer Figur von öffentlicher Bedeutung. Das Zweite zu einer Beibehaltung des Status Quo mit nur von besonders interessierten Menschen wahrgenommenen Anmerkungen. Der vorliegende Vorschlag wählt einen neuen Weg. Er schlägt eine physische Kontextualisierung – ohne Texttafeln und QR-Codes vor durch Versetzung in einen andern, ruhigeren, der Reflexion zugänglicheren und privateren Raum.

Versetzung ins Areal der Villa Belvoir

Die Alfred-Escher Statue des Bildhauers Richard Kissling soll zwar vom Sockel geholt, aber neu aufgestellt werden. Der Vorschlag für die Neupositionierung ist naheliegend, so wenig er seltsamerweise in bisherigen Diskussionen in Betracht gezogen worden ist. Die Statue wird, ohne Sockel beinahe auf ein menschliches Mass reduziert, in einer schattigen Ecke auf dem Areal der Villa Belvoir platziert werden, in der Escher tatsächlich gelebt und gearbeitet hatte und die heute mit ihrem Restaurant und ihren Sälen viel besucht wird. Die Escher-Figur wird so an eine Schnittstelle zwischen öffentlichem Raum und privatem Wohnraum zu stehen kommen. Wo die Figur wie beiläufig auftritt.

Die Villa hingegen ist – im Unterschied zur Person Alfred Escher und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – ein physisches Dokument des Kolonialismus, wurde sie doch von einem einstigen Beteiligten an einer Sklavenhalterfarm, Alfred Eschers Vater Heinrich, persönlich entworfen, bebaut und bewohnt und möglicherweise – da allerdings gibt es Unklarheiten – mit Geld aus Sklavenhalterei mitfinanziert. Die Villa, wie ein leuchtender Kristall sichtbar von Bürkliplatz und Bellevue aus, erstrahlte geradezu provokativ in hellem Weiss, das offensichtlich dem Kolonialempfinden des Erbauers entsprach. Parallelen zu Kolonialvillen wie dem Morris-Jumel Mansion in New York City sind unübersehbar.

Mögliche Zusatzelemente: Weissfärbung und Kolonialpavillon

Sinnvoll ist es, die Belvoir-Villa in die Frage nach der Kontextualisierung einzubeziehen, was paradoxerweise geschehen könnte, indem die Escher-Statue in ihrer Nischenposition auf dem Grundstück weiss gefärbt wird. Das ergibt ein Ensemble, in dem die weisse Farbe der Statue verschiedene Bedeutung hat. Sie stellt die Verbindung von Hausherrn und Villa her. Sie bringt zugleich die Bronze-Materialität der Statue eines mächtigen Mannes zum Verschwinden, ohne dass das Monument unsichtbar wird. Sie stellt gemäss traditioneller Symbolik auch die Frage nach Schuld und Unschuld, die nicht einfach zu beantworten ist.

Dass im Innern eines Kolonialismus-Pavillons auf dem Parkareal Zusatzinformationen zur Zürcher Beteiligung an den globalen Kolonialunternehmen durch Erläuterungen, Dokumente und Objekte gegeben werden, ist denkbar. Zudem bietet sich eine Verbindung zur bedeutenden Gestalt von Eschers Tochter Lydia Welti-Escher an, der Kunstmäzenin, die übrigens selber am Alfred-Escher-Denkmal auf dem Bahnhofplatz keinen Gefallen hatte.

Restsockel auf dem Bahnhofplatz

Der Restsockel auf dem Bahnhofplatz dient selbständig als fragendes Monument; er stellt die Frage, was für eine Person oder auch Sache jeweils angemessen darauf präsentiert werden sollte, und ob überhaupt etwas. So kann er als Podium für temporäre Installationen dienen.
Gedacht werden kann an eine dreidimensionale Figuration der Katharina von Zimmern, Äbtissin in Zürich, die zu einer Art Ikone weiblicher Präsenz an der Spitze von Zürich geworden ist, vielleicht als 3-D-Projektion. Oder einen vorübergehenden Aufenthalt im Freien des Engels von Niki de Saint Phalle, der in der Bahnhofshalle gefangen ist.

Quellen

Die Millionärin und der Maler. Die Tragödie Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer-Bern. Orell Füssli Verlag, Zürich 2005, ISBN 3-280-06049-4.

Lydia Welti-Escher. Eine Frau in der Belle Epoque. Elster-Verlag, Zürich 2014, ISBN 978- 3-906065-22-9.

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