L’Immigré (GE)

L’Immigré (GE):
Bronze für Sans-Papiers

Erinnert an… die Würde der Sans-Papiers im Schattendasein

Eckdaten

Ort:Rue du Mont Blanc, 1201 Genf (GE)
Art:Allegorie
Einweihung:2008
Material:Bronze

Zum Denkmal

Beim Verlassen des Bahnhofs Cornavin in der Stadt Genf trifft man auf die Bronzestatue «l’Immigré» (der Migrant). Sie wurde im Auftrag von Patrice Mugny, Bürgermeister und Leiter des städtischen Kulturdepartements, errichtet und anlässlich seines Amtsendes 2008 in der Strasse Mont-Blanc eingeweiht. Die Skulptur sollte auf würdevolle Weise die Sans-Papiers und ihr Schattendasein im öffentlichen Raum ins Licht rücken. 

Gegen die Vorstellung des «besenschwingenden Arbeiters» 

Eine Männerfigur, die auf einem Hocker sitzt, die Füsse überkreuzt, vertieft in eine Zeitung, die offen auf den Knien liegt, und mit goldenen Accessoires ausgestattet. Der senegalesische Künstler Ousmane Sow hatte sich bewusst entschieden, einen zeitungslesenden Immigranten darzustellen, gebildet und am öffentlichen Leben des Gastlandes interessiert. Er wolle damit «das Bild des besenschwingenden Arbeiters aus den Köpfen der Leute vertreiben», verriet er 2018 Ghania Damo von Swissinfo.

Ein Sans-Papier also, der den Prozess der Integration bereits (erfolgreich) abgeschlossen hat. Diesen langwierigen, schwierigen Prozess, den jede Person erwartet, die in der Schweiz Aufnahme sucht.

Kann die Figur, ins Blickfeld der Passant*innen gerückt, als Zeichen der Hoffung für die vielen Menschen mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus gelesen werden, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft die Schweiz erreichen? Etwa für jene Menschen, denen Patrice Mugny während seiner politischen Karriere gefolgt ist, oder für die Migrant*innen, die auf einem Kahn das Mittelmehr überqueren, aus einem Lastwagen oder einem Flugzeug steigen? Zeichnet die Skulptur in den Augen der heimischen Bevölkerung das Bild eines gut integrierten Migranten – gar ein Paradebeispiel erfolgreicher Integration? Oder ist sie vielmehr eine Erinnerung daran, dass Migration nicht zwangsläufig mit Armut, Misere oder gar Illegalität gleichzusetzen ist (oder war)?

Realitätsferne Würde?

Wie nahe oder fern der Realität ist diese Darstellung eines Menschen, der trotz Papierlosigkeit seine Würde behalten hat? Würde bedingt stets Respekt gegenüber sich selbst und anderen. In Genf, der Stadt Calvins und Rousseaus, erhielten die Sans-Papiers 2008 eine Verschnaufpause: Die Behörden verfolgten Personen mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus nicht mehr aktiv und die Aufnahmekapazitäten wurden erweitert. In anderen Kantonen und Städten, wo die Würde dieser Frauen und Männer durch zahlreiche und rigorose Kontrollen regelmässig in Frage gestellt wird, ist die Darstellung des «Immigré» wohl weiter von der Realität entfernt.

Nachdenken über die Beziehung zum Anderen

2015, sieben Jahre nach Einweihung der Statue, stand Europa im Zeichen der «Migrationskrise». Der Begriff beschrieb die steigende Anzahl Migrant*innen, die via Mittelmeer und Balkan nach Europa kamen. Das massenhafte Ertrinken im Mittelmeer, der intensive Austausch zwischen den Ländern zur Bewältigung dieser Situation und insbesondere die Politik der Schweiz in diesem Bereich zeigten es überdeutlich: Das Thema Migration ist aktueller denn je, brennend und komplex. Und damit auch die Frage nach unserer Beziehung, als Individuen und als Gemeinschaft, zum Anderen, dem, der ankommt, der migriert oder migriert hat und der sich manchmal in der Illegalität befindet. Die Begegnung mit dem «Immigré» ist für uns eine Möglichkeit, uns individuell damit auseinanderzusetzen und uns daran zu erinnern, dass es Orte gibt, wie zum Beispiel Genf im Jahr 2008, wo der Blick auf die Ankommenden über vorgefasste Meinungen hinausgeht.

Quellen

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Autorin Elodie Lopez
Elodie Lopez
Wissenschaftliche Mitarbeiterin SAGW
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